Wir trauern um
Peter Przygodda

In tiefer Trauer fühlen wir uns allen Familienmitgliedern und Freunden von Peter Przygodda verbunden. Wir haben ihn oft und sehr gerne bei Filmplus zu Gast gehabt, und werden die bereichernden und inspirierenden Begegnungen mit ihm schmerzlich vermissen. 2008 galt ihm unsere Hommage-Reihe. Anlässlich dessen stellte Oliver Baumgarten einen ganzen Przygodda-Thementeil für das Filmmagazin "Schnitt" zusammen, hier noch einmal der damalige Eröffnungstext zur Erinnerung.

Ein Ökonom der Dramaturgie

VON OLIVER BAUMGARTEN

Seit 1967 hat Peter Przygodda fast 100 Filme geschnitten. Zwar ist er für die langjährige Zusammenarbeit mit Wim Wenders am ehesten bekannt, doch hat seine Filmographie eine größere Vielfalt zu bieten, als man vielleicht denken mag. Eine kurze Einführung zur publizistischen Annäherung an ausgesuchte Montagen von Peter Przygodda.

Einen Themenschwerpunkt zu publizieren, in dem von Filmkritikern das Œuvre eines Schnittmeisters in Einzelrezensionen beleuchtet wird, fordert einen gewissen Mut zur Lücke. Ist es schon an sich schwierig, über Wirkungen und Aufgaben der Montage im allgemeinen zu sprechen, so stößt das Schreiben über den Schnitt eines Films im besonderen ganz unwillkürlich an spekulative Grenzen. Natürlich weiß man wenig über die Beschaffenheit des gedrehten Materials, natürlich kann man über mögliche Schnittalternativen lediglich Vermutungen anstellen. Und doch ist die Bedeutung von Schnitt und Montage für die Wirkkraft eines Films unbestritten. Sie ist deutlich spürbar, sie ist erkennbar und fordert aufmerksame Betrachter geradezu dazu auf, sie zu beschreiben, ihr nachzugehen und sie aus dem handwerklichen und künstlerischen Kontext eines Films herauszufiltern. Das ist leichter, sobald Schnitte ästhetisches Gestaltungsmittel werden, wenn wilde Jump Cuts vorherrschen, wenn Schnitte verstören sollen oder einfach nur eine irre Frequenz vorlegen. Das ist dann leichter, weil die Schnitte (nicht zwingend die Montage!) ins Auge springen, sich aufdrängen und ästhetisieren. Wesentlich schwieriger wird das auf der anderen Seite, sobald das Credo des »unsichtbaren« Schnitts vorherrscht, der erst dann richtig perfekt wird, wenn er unbewußt zu wirken beginnt, wenn er derart strikt der Geschichte dient, daß er scheinbar eins wird mit ihr – dann wird es zunehmend diffizil, Schnitt zu thematisieren, Leistungen zu ergründen und Methoden zu benennen. Über Schnitt zu sprechen oder zu schreiben heißt dann immer auch, Emotionen zu reflektieren und Stimmungen nachzugehen, auch radikal subjektiv sein zu dürfen.

Peter Przygodda ist ein Meister genau dieses »unsichtbaren« Schnitts, was die Herausforderung für die Filmkritiker in diesem Heft noch einmal verschärft hat. In über 40 Jahren und knapp 100 Filmen ging es für Peter Przygodda immer wieder um die »Ökonomie in der Dramaturgie«, um das richtige Austarieren erzählerischer Elemente, um Längen, um Tempo und Rhythmus. Er hat darin eine unbestrittene Meisterschaft entwickelt, die er eingebracht hat in Filme von Regisseuren wie Hans W. Geißendörfer, Volker Schlöndorff, Klaus Lemke, Hans-Jürgen Syberberg, Reinhard Hauff, Peter Handke, Rainer Erler, Romuald Karmakar und natürlich immer wieder Wim Wenders. Eindrucksvoll liest sich diese Liste von einigen der wohl einflußreichsten Regisseure der jüngeren deutschen Filmgeschichte, die mit Przygodda gearbeitet haben und noch heute arbeiten.

Peter Przygodda selbst läßt all das als Gütesiegel nicht gelten, immer wieder betont er in Gesprächen das Handwerk der Schnittarbeit und weist den künstlerischen Charakter des Editorenberufs weitestgehend von sich. Wie als Beweis dafür hat er nie einen Hehl daraus gemacht, etwa 1971 für den Münchner Sexfilmproduzenten Alois Brummer Pornografie illegal geschnitten zu haben oder den Ingrid-Steeger-Softporno Der lüsterne Türke von Michael Miller, eben weil man im Beruf überleben, weil man Geld verdienen muß. Wer aber Przygoddas Filme ganz am anderen Ende der Klaviatur gesehen hat, Dokumentarfilme wie Can – Free Concert, Alle Geister Kreisen oder …als Diesel geboren, die er als Regisseur und Editor gleichermaßen verantwortet, der weiß, wie enorm ausgeprägt sein künstlerischer Sinn ist für die Komposition und wie fein sein Gefühl für Erzählung und Atmosphäre.

Ursprünglich wollte Przygodda Architekt werden, arbeitete auf dem Bau, gründete schließlich in Berlin-Kreuzberg u.a. mit Rolf Zacher die Studiobühne »Ein-Groschen-Theater« und landete 1967 eher aus Geldnot als Schnittassistent in Artur Brauners CCC-Studios in Berlin-Spandau. Dort lernte er beim großen Schnittmeister Alfred Srp, dem Sissi-, Jerry Cotton- und Old Shatterhand-Editor, ehe er selbst die Montage verantwortete von solch wunderschönen und noch heute faszinierenden Extravaganzen wie Thomas Schamonis Ein großer graublauer Vogel. 1970 dann lernte er an der HFF München Wim Wenders kennen und besorgte die Endfertigung von dessen Erstling Summer in the City. Die beiden haben als legendäres Kreativgespann bis heute fast zwei Dutzend Filme zusammen gemacht, zuletzt Palermo Shooting, der im November 2008 in den Kinos starten wird. Für sein Gesamtwerk wird Peter Przygodda im November beim Kölner Montageforum Film+ vom Bundesverband Filmschnitt geehrt und mit dem Geißendörfer Ehrenpreis Schnitt ausgezeichnet.

Personenkult, das machen Äußerungen Przygoddas immer wieder deutlich, ist ihm trotzdem ziemlich suspekt, lieber läßt er seine Arbeit für ihn sprechen. Und genau so wollen wir das bei unserer Würdigung dann auch halten und auf den nächsten Seiten dem Schnittmeister Przygodda, seiner Kunst, seinem Handwerk und seinem Einfluß publizistisch auf den Grund gehen.

Erschienen in Schnitt – Das Filmmagazin #52, 04.2008.